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⚠️ Muscarin — das cholinerge Pilzgift: Alles, was du wissen musst

Kurzbeschreibung: Muscarin ist ein natürlich vorkommendes Alkaloid in bestimmten Pilzarten, das die muskarinischen Acetylcholinrezeptoren im Körper aktiviert. Es verursacht ein charakteristisches cholinerges Syndrom (vermehrter Speichelfluss, Schwitzen, Tränenfluss, Miosis etc.). Dieser Beitrag behandelt Chemie, Vorkommen, Wirkmechanismus, Symptome, Schweregrad, Diagnostik, Therapie, Prävention und praktische Hinweise für Sammler.


1. Einführung

Muscarin wurde bereits im 19. Jahrhundert aus Pilzen isoliert und nach ihm wurde das Wirkprinzip (Muskarinwirkung) benannt. Die wichtigste klinische Bedeutung hat es in Früchten bestimmter Gattungen wie Inocybe (Risspilze) und Clitocybe (Trichterlinge), aber auch in einigen Arten der Gattungen Entoloma und Mycena wurde Muscarin nachgewiesen. Muscarin ist nicht dasselbe wie die psychotropen Stoffe in Amanita muscaria (Fliegenpilz): die hier relevanten Wirkstoffe sind hauptsächlich Muscimol und Ibotensäure, nicht Muscarin.


2. Chemie & Eigenschaften

  • Muscarin ist ein quaternäres Ammoniumalkaloid (L‑(+)-Muscarin).

  • Es ist wasserlöslich und polar, daher relativ schlecht die Blut‑Hirn‑Schranke passierend; die Wirkungen sind vor allem peripher und auf muskarinische Rezeptoren gerichtet.

  • Muscarin ist stabil genug, um nach üblichen Zubereitungsarten (Kochen) noch wirksam zu bleiben — daher ist Kochen kein zuverlässiger Schutz.


3. In welchen Pilzen kommt Muscarin vor?

Bekannte muscarinhaltige Pilze sind vor allem:


  • Verschiedene Risspilze (Gattung Inocybe) — z. B. der ehemals als Inocybe erubescens bekannte tödliche Faserkopf (engl. "deadly fibrecap").

  • Bestimmte Trichterlinge (Gattung Clitocybe), insbesondere:

    • Clitocybe rivulosa / Clitocybe dealbata (auf Wiesen und in Rasenflächen vorkommend) – im Deutschen oft als "Trichterling" oder "Irrlicht‑Trichterling" bezeichnet.

  • Vereinzelt: einige Arten aus den Gattungen Entoloma und Mycena können Muscarin enthalten.


Wichtig: Die genetische Vielfalt und die Taxonomie mancher Gattungen ändern sich, deshalb können wissenschaftliche Namen schwanken; für Sammler gilt: kleine, unscheinbare braune oder weiße Trichterlinge sowie Risspilze nicht essen.


4. Wirkmechanismus (Wirkung im Körper)

  • Muscarin wirkt als Agonist an muskarinischen Acetylcholinrezeptoren (M1–M5).

  • Die Überstimulation dieser Rezeptoren führt zu verstärkter parasympathischer Aktivität:

    • M3‑vermittelt: vermehrte Sekretion (Speichel, Tränen), Bronchokonstriktion, Darmperistaltik.

    • M2‑vermittelt: Bradykardie (langsamer Puls) und beeinträchtigte AV‑Überleitung.

  • Zentralnervöse Effekte sind aufgrund der geringen penetrierbarkeit der Blut‑Hirn‑Schranke schwächer, können aber bei besonders empfindlichen Personen vorkommen.


5. Klinik: Symptome und Verlauf

Symptome treten meist rasch auf — innerhalb 15–60 Minuten nach Verzehr.

Typische Merkmale (Das sogenannte SLUDGE‑Syndrom):


  • Salivation (vermehrter Speichelfluss)

  • Lacrimation (Tränenfluss)

  • Urination (vermehrter Harndrang)

  • Defecation / Diarrhö (Durchfall)

  • Gastrointestinal upset (Übelkeit, Erbrechen)

  • Emesis (Erbrechen)


Weitere Symptome:


  • Schwitzen (Hyperhidrose)

  • Miosis (enge Pupillen), verschwommenes Sehen

  • Bradykardie, möglicher Blutdruckabfall

  • Bronchospasmus, Atemnot (besonders gefährlich bei Kindern oder Asthmatikern)

  • In schweren Fällen: Bradykarde Arrhythmien, Kreislaufkollaps


Die akute Phase dauert in der Regel einige Stunden; unbehandelt können die Symptome schwerwiegend sein, besonders bei kleinen Kindern, älteren Menschen oder Vorerkrankten.


6. Wie tödlich ist Muscarin? (Gefährlichkeit)

  • Muscarin‑Intoxikationen sind in der Regel weniger häufig tödlich als Vergiftungen mit Amatoxinen oder Gyromitrin. Dennoch kann Muscarin lebensbedrohlich sein, vor allem bei:

    • kleinen Kindern (geringere Körpermasse),

    • ausgedehnter Aufnahme, oder

    • Verzögerung der Behandlung.

  • Todesfälle sind selten, aber dokumentiert — die Hauptgefahr besteht in Atemwegsverengung/bronchospasmus, schwerer Bradykardie oder Kreislaufversagen.


7. Diagnostik

  • Anamnese: Pilzverzehr und der sehr schnelle Beginn cholinerger Symptome sind wegweisend.

  • Klinische Untersuchung: Nachweis von SLUDGE‑Symptomatik, Pupillenstatus, Herzfrequenz, Atemstatus.

  • Labor: Blutbild, Elektrolyte, EKG (bei Herzbeteiligung). Spezifischer Toxin‑Nachweis (Muscarin) ist in spezialisierten Laboren mittels chromatographischer Methoden möglich, wird aber selten für die Akutbehandlung benötigt.


8. Therapie & Behandlung

Muscarin‑Vergiftungen sind ein medizinischer Notfall.


Sofortmaßnahmen

  • Notruf / Klinikaufnahme.

  • Vitalparameter überwachen (Atmung, Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung).

  • Aktivkohle und Magenspülung, wenn Patient sehr früh nach Aufnahme vorstellig ist (unter ärztlicher Aufsicht).


Spezifische Therapie

  • Atropin (ein Antimuskarinikum) ist das spezifische Antidot: es blockiert muskarinische Rezeptoren und kehrt die Symptome um. Dosierung und Wiederholungen richten sich nach Schweregrad und Gewicht des Patienten; in schweren Fällen können mehrere Dosen oder eine kontinuierliche Infusion nötig sein.


Supportive Maßnahmen

  • Sauerstoffgabe, Bronchodilatatoren bei Bronchospasmus.

  • Flüssigkeitsausgleich und Kreislaufstabilisierung.

  • EKG‑Überwachung bei Bradykardie; gegebenenfalls weitere kardiologische Maßnahmen.


9. Prävention & praktische Tipps für Sammler

  • Iss niemals kleine, unscheinbare Trichterlinge oder Risspilze. Viele tödliche oder giftige Arten sehen harmlos aus.

  • Kinder und Haustiere besonders schützen — kleine weiße oder braune Pilze auf Rasenflächen sind häufig verantwortliche Arten.

  • Bei Unsicherheit Pilzproben aufbewahren und Fotos machen — hilfreich für die Identifikation im Notfall.


10. Häufige Fragen (FAQ)

Ist der Fliegenpilz (Amanita muscaria) muscarinhaltig?Früher wurde Muscarin fälschlicherweise als Hauptwirkstoff des Fliegenpilzes angenommen. Heute weiß man, dass die wichtigsten Wirkstoffe dort Muscimol und Ibotensäure sind; Muscarin tritt dort nur in sehr geringen, klinisch meist irrelevanten Mengen auf.


Kann Kochen Muscarin zerstören?Muscarin ist wasserlöslich, aber nicht zuverlässig durch normales Kochen zu inaktivieren. Daher ist Kochen kein sicherer Schutz.


Wie lange dauern die Symptome?Meist einige Stunden; mit adäquater Behandlung klingt die Symptomatik innerhalb von 24 h bis wenigen Tagen ab.


11. Fazit

Muscarin ist ein gut beschriebenes, cholinerg wirkendes Pilzgift, das in bestimmten Riss‑ und Trichterlingsarten vorkommt. Dank eines klaren Antidots (Atropin) sind die meisten Vergiftungen bei rechtzeitiger Behandlung gut therapierbar — dennoch bleibt Prävention (keine unsicheren Pilze essen) die beste Maßnahme.


Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Verdacht auf Pilzvergiftung unverzüglich ärztliche Notaufnahme aufsuchen.

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